Sichtbare LGBTQ+ Führungskräfte sind mehr als Vorbilder, sie verändern Kultur, Entscheidungen und Arbeitgeberattraktivität.

Markus Stein (he/him)
24.08.2025
In der Diskussion um Diversität und Inklusion fällt oft der Begriff Repräsentanz. Gerade in Führungsetagen ist sichtbare Vielfalt ein mächtiges Signal, sowohl nach innen als auch nach außen. Für die LGBTQ+ Community ist die Repräsentanz in hohen Positionen aber noch immer eher Ausnahme als Regel. In diesem Blog beleuchte ich, warum Sichtbarkeit so wichtig ist, welche Barrieren bestehen und welche Schritte notwendig sind, damit LGBTQ+ Führungspersönlichkeiten nicht nur Einzelerscheinungen bleiben.
Warum Sichtbarkeit zählt
1. Vorbilder schaffen Mut und Perspektive
Wenn eine Person ihre queere Identität in einer Spitzenposition offen lebt, inspiriert das andere LGBTQ+ Menschen, ihre eigenen Karriereziele zu verfolgen, ohne sich verstecken zu müssen. Sichtbare Role Models wecken das Bewusstsein: Es ist möglich. Ohne solche Modelle bleibt der Eindruck bestehen, dass queere Karrieren nur inoffiziell oder unsichtbar funktionieren.
2. Organisationskultur formt sich durch Signale
Führungskräfte prägen nicht nur Strategien, sondern auch Kultur. Wenn LGBTQ+ Personen in Leitungspositionen sichtbar sind, reduziert das implizite Vorurteile und stärkt das Vertrauen, dass Inklusion ernst gemeint ist und nicht nur ein Schlagwort im Diversity Report.
3. Entscheidungsräume profitieren von Vielfalt
Führungsetagen, die Vielfalt repräsentieren, bringen unterschiedliche Perspektiven in strategische Entscheidungen ein. Ohne queere Stimmen besteht die Gefahr, blinde Flecken in der Führung zu behalten, gerade in Themen, die Diversity betreffen.
4. Signalwirkung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Bewerbende
Für Mitarbeitende ist sichtbare Vielfalt in der Führung ein Zeichen dafür, dass sie authentisch sein können. Für Bewerbende, insbesondere LGBTQ+ Talente, kann Sichtbarkeit in der Führung entscheiden, ob ein Arbeitgeber als wirklich inklusiv wahrgenommen wird.
Der Status quo: Wie sieht es konkret aus?
Obwohl die Datenlage speziell zu LGBTQ+ Führungskräften noch begrenzt ist, gibt es deutliche Hinweise auf Unterrepräsentanz:
Laut Schätzungen von OutLEADERSHIP halten weniger als ein Prozent der rund 5.670 Board-Sitze bei Fortune-500-Unternehmen LGBTQI+ Direktoren. (thechoice.escp.eu)
In Europa fehlen verlässliche umfassende Daten. Oft ist unsicher, wie viele queere Menschen in Spitzenpositionen sitzen, weil viele ihre Identität nicht öffentlich machen. (thechoice.escp.eu)
In der Wissenschaft zeigen Umfragen, etwa im Rahmen der EEA Professional Climate Survey, dass LGBTQ+ Personen deutlich häufiger über Erfahrungen von Ausgrenzung, Diskriminierung oder Unsicherheit berichten. (arxiv.org)
Repräsentanz bedeutet dabei nicht nur Anwesenheit. Häufig sitzen queere Personen in Positionen mit weniger Entscheidungsmacht oder bleiben in mittleren Ebenen stecken.
Barrieren, die Sichtbarkeit verhindern
1. Angst vor Nachteilen
Viele LGBTQ+ Fachkräfte befürchten, dass ein offenes Coming-out ihre Karriere behindert. Diese Angst führt häufig dazu, Identität zu verbergen oder nicht sichtbar zu sein.
2. Fehlende Netzwerke und Mentoring
Zugang zu informellen Netzwerken ist wichtig für Karrierefortschritte. Wenn queere Netzwerke fehlen oder unzugänglich sind, bleiben Karrieren oft auf halber Strecke stehen.
3. Mangelnde Daten und Transparenz
Ohne verlässliche Erhebungen bleibt Unsichtbarkeit institutionalisiert. Unternehmen wissen oft nicht, wie viele queere Menschen in Führungspositionen arbeiten, und können daher kaum gezielt gegensteuern.
4. Tokenism und Sichtbarkeit unter Bedingungen
Wenn eine queere Führungskraft sichtbar ist, wird sie manchmal als Vorzeigebeispiel instrumentalisiert. Das erzeugt Druck, sich besonders anzupassen, anstatt authentisch zu sein.
5. Überschattung durch andere Diversitätsdimensionen
In vielen Unternehmen liegt der Fokus auf Geschlechtergleichstellung oder ethnischer Vielfalt. LGBTQ+ Themen werden dann als Zusatz behandelt und haben weniger Priorität.
Wie Unternehmen Sichtbarkeit fördern können
1. Freiwillige Selbstidentifikation ermöglichen
Unternehmen sollten sichere und freiwillige Kanäle schaffen, über die Mitarbeitende ihre LGBTQ+ Identität offenlegen können, anonym oder vertraulich.
2. Mentoring- und Sponsorship-Programme für LGBTQ+
Gezielte Programme fördern Talente aus der Community, indem sie Unterstützung und Karrierechancen bieten.
3. Sichtbare Führungskräfte einbinden und feiern
Wer offen in Führungspositionen sitzt, sollte in internen und externen Kommunikationskanälen sichtbar gemacht werden. Ihre Geschichten gehören in die Unternehmenskultur, nicht nur auf Diversity-Events.
4. Inklusive Kultur ausbauen
Sichtbarkeit funktioniert nur, wenn ein Umfeld geschaffen wird, in dem keine Angst vor Repression besteht. Dazu gehören Schulungen, klare Richtlinien bei Diskriminierung und eindeutige Führungssignale.
5. Verbindliche Ziele zur Repräsentanz
Unternehmen können konkrete Ziele setzen, wie viele queere Menschen in Führungspositionen sichtbar sein sollen, und regelmäßig berichten, welche Fortschritte es gibt.
Herausforderungen und Spannungsfelder
Sichtbarkeit allein ist kein Allheilmittel. Sie birgt Risiken, insbesondere wenn einzelne Personen überproportional belastet werden. Außerdem darf Sichtbarkeit nicht erzwungen werden, sondern muss freiwillig und selbstbestimmt geschehen.
Auch ist Repräsentanz kein Ersatz für strukturelle Gleichstellung. Einzelne sichtbare queere Führungskräfte verändern nicht automatisch ganze Branchen. Für echten Wandel braucht es umfassende Maßnahmen parallel zur Sichtbarkeit.
Mehr als nur ein Symbol
Repräsentanz in Führungsetagen bedeutet mehr als nur ein sichtbarer Platz in der Chefetage. Sie ist Teil eines tiefgreifenden Wandels für Kultur, Entscheidungen, Mitarbeitende und Außenwirkung. Für die LGBTQ+ Community ist Sichtbarkeit in der Führung ein bedeutendes Signal für Zugehörigkeit und Authentizität.
Unternehmen, die gezielt auf Sichtbarkeit setzen, ohne sie zu erzwingen, legen den Grundstein dafür, dass Vielfalt nicht nur in Berichten existiert, sondern tatsächlich in den Strukturen der Macht und Entscheidung lebendig wird.
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